Buchrezension: Die Geschmacksschule von Jürgen Dollase
Lange vergessen…
Eine Rezension über ein Buch mit Erscheinungsdatum 2005? Das ist ja schon bald 10 Jahre alt, werdet ihr sagen. Und jedes Jahr erscheinen doch hunderte neue Kochbücher..
Dennoch möchte ich Euch die ‚Geschmacksschule‘ von Jürgen Dollase hier näherbringen. Ja, von Jürgen Dollase, das ist der ehemalige „Krautrocker“ und Bandleader von Wallenstein, der sich jetzt in manchmal sehr intellektuellen Worten der Restaurant-Kritik und der Kochkunst widmet; unter anderem in der FAZ und in seinen Büchern.
Gekauft habe ich die ‚Geschmacksschule‘ schon vor Jahren. Damals habe ich das Buch mit Interesse studiert. Konzeptionell sehr interessant gefunden. Doch dann beiseite gelegt. Nie vergessen, doch auch nie die Rezepte im Buch in Angriff genommen.
Vor einiger Zeit habe ich dann beschlossen, wieder mehr zu kochen. Und das ganze ein wenig systematischer anzugehen; die Grundlagen und Zusammenhänge besser zu verstehen. Und da ist mir die ‚Geschmacksschule‘ wieder in den Sinn gekommen.
… und doch aktueller denn je!
Für Weinproben, so Jürgen Dollase in seinem Vorwort, gibt es eine vielfältige Weinsprache. Ja, Begriffe und Phrasen wie ’süss’, bitter’, ‚fruchtig“, „schmeckt nach Zitrusfrüchten“, ‚adstringierend‘ oder ‚lange im Abgang‘ sind in Weinkreisen breit bekannt und helfen, einen Wein zu beschreiben.
Ähnliches fehlt beim Essen. Weder gibt es „Ess-Seminare“, in welchen man über Stunden verschiedene Speisen verkostet und vergleicht, noch gibt es eine ähnlich umfassende Terminologie, um Essen zu beschreiben.
Jürgen Dollase versucht in seinem Buch, einen solchen Rahmen für den Geschmack von Speisen zu entwickeln. Und war damit vor bald schon zehn Jahren ein Vorreiter, ja manchmal seiner Zeit voraus.
In der Zwischenzeit ist – auch durch Dollase – das Zusammenspiel von Aromen, Temperaturen und Texturen ein viel diskutiertes, wesentlich besser ergründetes und in der professionellen modernen Küche wesentlich zielgerichteter eingesetztes geworden. Im „privaten Kochen“ (um mal das Wort ‚Hobbykoch’ zu vermeiden) beginnt das ganze gerade erst, seinen Lauf zu nehmen. Daher ist aus meiner Sicht das Buch aktueller denn je!
Aromen, Temperaturen und Texturen
Geschmacksempfindungen lassen sich über Aromen, Temperaturen und Texturen gut beschreiben. Zu den Aromen zählen die Wahrnehmungen ‚süss‘, ‚sauer‘, ‚salzig‘, ‚bitter‘ und ‚Umami‘. Temperaturen, diese können etwa in ‚kalt (tiefgekühlt)‘ über ‚kühl‘, ‚warm‘ und ‚heiss (nicht essbar)‘ mit vielen weiteren Abstufungen gruppiert werden. Und auch für die Texturen stellt Dollase ein Vokabular bereit, etwa der ‚Kross-Effekt‘ in verschiedenen Ausprägungen oder Texturen wie die von Nüssen oder von Stücken von grünem Salat.
Dies wird dann zunächst an verschiedenen Beispielen – jeweils auf einem Löffel angerichtet – erklärt.
So spüren wir etwa bei ein Löffel mit kaltem Joghurt vorwiegend die Kühle und den Schmelz des Joghurts.
Fügt man Marmelade bei, so schmeckt man deren Süsse zunehmend, wenn sich das kalte Joghurt im Mund erwärmt. Ein Apfelstück gibt einen leichten ‚Kross-Effekt‘, und der Apfel bleibt wesentlich länger im Mund präsent als Joghurt und Marmelade.
Ein Stück Nuss sorgt für einen sehr langen, festen Kross-Effekt. Ein Stück Zwiebackdagegen erzeugt zu Beginn im Mund einen sehr starken Kross-Effekt, welcher dann schnell wieder verschwindet.
Die geschmackliche Wahrnehmung
Jede Geschmackskomponente hat ihre eigene Wahrnehmung, welche gemäss Jürgen Dollase einerseits durch Intensität, andererseits durch ihre Dauer geprägt ist. So ist das Krachen des Zwiebacks eine kurze, aber intensive Komponente, welche gleich zu Beginn auftritt. Die Marmelade wäre dagegen wesentlich weniger intensiv, sie kommt – sobald die Kühle des Joghurts nachlässt – Schritt für Schritt zum Vorschein und klingt dann wieder langsam aus.
Dollase unterteilt jede Geschmacksempfindung in vier Phasen; Attack (der Geschmack kommt immer mehr in den Vordergrund), die Plateauphase (er ist intensiv), das Nachlassen / Decay und der Nachhall / Sustain; die Englischen Begriffe sind der Welt der Musik entnommen.
Eine Vielzahl von Löffelgerichten (und auch einige Tellergerichte) zeigen dann das Zusammenspiel verschiedener Geschmacksempfindungen. Was in der Beschreibung der Geschmacksempfindungen hier sehr theoretisch klingt, macht in der Praxis richtig Spass!
Wie bei einer Weinprobe kann man mal genauer hineinschmecken und hat einen Rahmen, das ganze zu beschreiben. Und Eindrücke auszutauschen, Empfindungen zu bestätigen oder sich herrlich darüber zu streiten!
Löffel und Teller zum Staunen und Nachkochen
Das Buch führt den Leser auf 192 Seiten durch 48 Löffel-Rezepte, 11 Teller-Rezepte und 2 „Baukästen“ (das sind 25 pikante bzw. 9 süsse Zutaten zum Ausprobieren für eigene Löffel). Die Zutaten sind nicht exotisch und auch in „normalen“ Lebensmittelgeschäften / Delikatessenabteilungen / Märkten erhältlich; auch wenn manchmal regionale Terminologie den Schweizer/Österreichischen Leser mal googeln lässt und auch eine Blutwurst/Bratwurst regional sehr unterschiedlich sein kann.
Die Zubereitung erfordert gute Koch-Grundkenntnisse, aber nicht mehr. Auch die Küche muss, wenn man von einer Fritteuse absieht (wer hat schon eine Fritteuse??), mit wenig technischen Geräten ausgestattet sein. Die Zutaten sind ausreichend genau spezifizier, die Rezepte kurz, doch gut beschrieben.
Eine Herausforderung sind die verwendeten Mengen – für ein paar Löffelchen braucht man eben keine Grosspackungen bei den Zutaten; und auch in kleinen Mengen bleibt oft etwas über. Also bereitet ruhig mehr als nur 2 oder 3 Löffel zu!
Die Rezepte geben eine gute Idee über die Zusammenhänge der verschiedenen Geschmackskomponenten und wie man diese einsetzt mit dem Ziel, den Genuss und Spass am Essen zu erhöhen – ob nun auf einem Löffel oder einem Teller. Das Erkochte zu verzehren macht Freude und schmeckt gut, und die eine oder andere Komponente oder Zutat ist bei mir schon fest notiert für zukünftige Speisen!
Kulinarische Grammatik
Für mich ist das Resultat eine Art kulinarische Grammatik. Neben dem Spass beim Ausprobieren bekommt man auch konkrete Hinweise und praktische Erfahrungen, wie man mit Hilfe dieser ‚kulinarischen Grammatik‘ Gerichte geschmacklich spannender anlegt und interessanter umsetzt.
Ich kann das Buch ‚Geschmacksschule‘ von Jürgen Dollase daher aus vollem Herzen empfehlen! Und habe mich entschlossen, es von vorne bis hinten – Gericht für Gericht – nachzukochen. Und meine weiteren Erfahrungen hier im ‚Project D‘ (D wie Dollase) Blog mit Euch zu teilen. Ich freue mich, wenn Du mich auf diesem Weg begleitet!
Wenn Du die Artikel zum Buch Geschmacksschule per Email abonnieren möchtet, so trage Dich bitte in die Project D-Mailingliste (rechts oben in der Sidebar) ein!
Dein Kommentar
Want to join the discussion?Feel free to contribute!